Umbra Antumbra Penumbra für Bassklarinette/Kontrabassklarinette und Orchester (2020)

Besetzung:

2(Picc)-2(EH)-2(Es-Kl,Basskl)-2(Kfg), 4-2-2-1, Pk (1), Schl (2-3), Solo (Basskl./Kontrabasskl.), Streicher (min. 8-6-6-6-4)

Aufführungsdauer: ca. 22′

Verlag: Schott Music

UA: 26.4.2021, Greifswald
Richard Haynes, Bass/Kontrabassklarinette
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Weitere Aufführungen:
27. und 28.4.2021, Theater Stralsund

Auftragswerk des Philharmonischen Orchesters Vorpommern

Werkeinführung:

I. Intrada
II. Impromptu
III. Gran Adagio
IV. Capriccio
V. Finale

Umbra Antumbra Penumbra war anfangs als Studie über „akustische Schatten“ angelegt: Zwischen Solo und Orchester und innerhalb der Orchestergruppen gibt es immer wieder Vorechos und Nachklänge, laute Ereignisse schieben sich über leisere, drängen diese in den Hintergrund und geben sie wieder frei. Insbesondere das Verhältnis zwischen dem Solopart und den beiden Orchesterklarinetten reflektiert diese Konzeption so weitgehend, dass man insbesondere die Bassklarinette des Orchesters bisweilen wie einen Doppelgänger des Solos wahrnimmt.
Während der Arbeit fielen mir jedoch Giovanni Battista Piranesis Carceri d’invenzione in die Hände, und in die Klangwelt des Stückes schoben sich Mauern, Balken und überdimensionale Treppenstufen. Das Frappanteste an jenen aberwitzigen „imaginären Gefängissen“ allerdings ist, dass die meisten der abgebildeten menschlichen Figuren sich in den Konstruktionen frei zu bewegen scheinen, und dass in nahezu jeder der Tafeln irgendwo mindestens ein Stück Himmel zu sehen ist: Piranesis Gesellschaft ist unter freiem Himmel eingesperrt. Ruft man sich die leeren Stadtlandschaften des Frühjahrs oder Herbstes 2020 in Erinnerung, in denen sich die Menschen allein oder zu zweit verloren, wird die Assoziation augenfällig.
So durchzieht ein Geflecht von versteckten Duetten die Partitur – aus den Gruppen lösen sich einzelne Stimmen, finden sich kurz zu dialogisierenden Gesten zusammen und werden wieder zerstreut. Oft stehen dabei einzelne Vertreter einer Gruppe gegen die Masse der anderen und reflektieren so die zunehmende Isolation des Solos. Individuelle Stimmen versuchen, sich Gehör zu verschaffen, Figurationen der Solostimme streuen bisweilen ins Orchester, zerbrechliche Linien blühen kurz auf und fallen wieder in sich zusammen. Was anfangs noch rhapsodisch vorwärtstreibend war und dialogisierende Ansätze versprach, verwandelt sich in zunehmend zielloses Kreisen, schwere Blöcke und dumpfes Murmeln. Der symphonische Dialog zwischen Solo und Orchester wird zum einsamen Monolog vor fragmentierter Kulisse. Die ursprünglich geplante virtuose Kadenz fällt aus, an ihre Stelle tritt ein letzter verwehter Melodierest, eine chiffrierte Flaschenpost.
Zugleich sucht das Stück danach, dieses düstere Szenario formsprachlich zu fassen. Eine streng gemessene Introduktion setzt den Grundton. Der karge, von Blech und Schlagzeug dominierte Satz wird zu einem locker-rhapsodischen Impromptu aufgelöst, in dem das Solo erstmals aus dem Orchesterklang heraustritt. Das Zentrum des Stückes bildet ein schwerer, dunkler Adagio-Komplex mit einigen beinahe schmerzhaften Lichtblitzen, der sich auf der Suche nach einer Linie verliert. Das folgende Capriccio greift die eleganten Figurationen aus dem zweiten Satz in irrwitzigem Tempo auf und spielt die Kombinationsmöglichkeiten der Orchestergruppen mit dem Solo in kammermusikalischer Durchsichtigkeit aus. Das Finale gerät zum Abbruchunternehmen, doch löst sich ganz am Ende ein Ansatz von Individualität aus dem starr-massiven Orchesterklang: Solo, Marimba und Kontrabass weisen einen möglichen Ausweg.
Der Schluss verweist noch einmal deutlich darauf, dass es sich bei Umbra Antumbra Penumbra ebenso um ein Konzert für Bassklarinette und Orchester wie um ein Konzert für Orchester mit Bassklarinetten-Solo handelt. Darin aber liegt ein tiefer Traditionsbezug – seit in Mozarts späten Klavierkonzerten die Bläserstimmen in den Dialog mit dem Solo eintraten, ist die Konstellation und heikle Balance zwischen Solo, Orchestersoli und Orchestertutti der Kern jedes anspruchsvollen Solokonzerts.