Malbork I für Flöte, Klarinette, Streichtrio und Klavier (2002/03)

Besetzung: Flöte, Klarinette, Streichtrio und Klavier

Verlag: Schott Music

Aufführungsdauer: ca. 11′

UA: 31.8.2003, Weikersheim, Ensemble aus Kursteilnehmern von Jeunesse Moderne, Ltg.: Benjamin Schweitzer

Weitere Aufführungen:

2.9.2003, München (Ltg. Benjamin Schweitzer)
4.2.2005, Berlin (Modern Art Sextet)
15.4.2005, Rottenburg/Neckar (ensemble courage, Ltg. Titus Engel)
25.3.2006, München (Ensemble piano possibile, Ltg. Christian Günther)
22.4.2006, Weimar (Ensemble MoEns)
28.4.2006, Prag (Tschechische EA, Ensemble MoEns)
6.7.2006, Viitasaari (Finnische EA, ensemble courage, Ltg. Titus Engel)
28.1.2012, Düsseldorf (notabu Ensemble, Ltg. Mark-Andreas Schlingensiepen)

Rundfunksendung: SWR 22.8.2005

Werkeinführung:

Malbork I ist das erste Stück einer lockeren Reihe von Kammermusiken, die sich mit dem Werk Italo Calvinos auseinandersetzen – respektive das erste Stück daraus, bei dem sich im Titel ein (wenngleich gut versteckter) konkreter Calvino-Bezug findet. Die Kapitelüberschriften seines letzten Werkes, der Six Memos for the Next Millennium [Leichtigkeit – Schnelligkeit – Genauigkeit – Anschaulichkeit – Vielschichtigkeit – Haltbarkeit] beschäftigen mich als ästhetische Grundsätze, die weit über das Gebiet der Sprache und Literatur hinaus Bestand haben, schon länger.

Malbork I entstand nach der Lektüre des Romans Wenn ein Reisender in einer Winternacht (Orig.: Se una notte d’inverno un viaggiatore, 1979), in dem ein Kapitel mit Vor dem Weichbild von Malbork überschrieben ist. Dieser Roman erzählt eine Geschichte, die einerseits mit jedem Kapitel von neuem beginnt, andererseits aber auch Elemente aus den vorangegangenen Kapiteln neu verwendet, zitiert, anders weiterentwickelt, so daß sich ein Netz von Binnenbezügen ergibt, in dem die konventionelle Zeitrichtung des Erzählens aufgehoben ist.

Insbesondere dieses selbstreferentielle Bezugssystem, der Gedanke der „Umkehrung der Zeit“, aber auch die brillante Sprache Calvinos, der Leichtigkeit und Tiefe zu verbinden vermag wie nur wenige andere Autoren, waren Ausgangspunkt für die Arbeit an dem Sextett Malbork I. Dem Stück liegen zwei in Gestik und Tonmaterial sehr konzentrierte „Kerne“ zugrunde, die in ihrer Besetzung zugleich das Sextett in zwei Trios aufspalten und zeitlich weit voneinander entfernt postiert sind (Kern I – Bläser und Klavier – T. 30-40, Kern II – Streichtrio – T. 126-138). Das Stück variiert nun diese Kerne – tantôt libres, tantôt recherchées -, mit dem Ziel, möglichst viele und dichte Querbeziehungen zwischen den Kernen herzustellen; nicht zuletzt dadurch, daß sich die Stimmen vorrangig mit den Kernen der jeweils anderen Instrumentengruppe befassen.

Dazu kommt die Ausnutzung einer Möglichkeit, die die Musik der Literatur voraus hat, nämlich verschiedenartige Abläufe tatsächlich gleichzeitig darstellen zu können. In diesem Fall heißt das: zusätzlich zu den über die Zeit verteilten Zitaten und Variationen vorangegangenen und zukünftigen Materials verbinden sich immer wieder Instrumente zu kleineren Formationen innerhalb der Besetzung, die kurzzeitig ihre eigenen Geschichten erzählen, welche aber immer im Bezug zu anderen Momenten des Stückes stehen und in den übrigen Stimmen früher oder später aufgegriffen werden. So ist Malbork I gleichzeitig ein Liniengeflecht von sechs teilweise selbständigen, teilweise zu mehrstimmigen Passagen zusammengefaßten Monologen, deren Klangwelt vorrangig zart, differenziert, bisweilen fragil, aber nie larmoyant gestaltet ist.