Dafne (Tragikomödie in einem Akt) (2005)

(Libretto von Benjamin Schweitzer nach Martin Opitz)

Besetzung:

Dafne ([Mezzo]Sopran), Venus (Sopran), Cupido ([Mezzo]Sopran), Apollo (Bariton), Ovid (Sprecher)

Ensemble: 1 (Picc/Bassfl)-0-Bkl-0, Zink*-0-0-1-0, Pk.Schlz (1 Sp.), Theorbe*, Streicher 1-0-1-1-1

*Zink kann durch Trompete in C ersetzt werden / Theorbe kann durch Harfe ersetzt werden

Auftragswerk des Konzerthauses Berlin

Verlag: Schott Music

Dauer: ca. 30′

UA (konzertant): 3.4.2006, Elisabethkirche Berlin, Festival zeitfenster – Biennale Alter Musik

Sylvia Nopper (Dafne), Herman Wallén (Apollo), Ksenia Lukic (Venus), Katia Guedes (Cupido),
Vocalconsort Berlin, Kammerensemble Neue Musik Berlin
Leitung: Titus Engel

UA (szenisch): 25.11.2009, Theater Freiberg/Sachsen
Inszenierung: Judica Semler
Musikalische Leitung: Jan-Michael Horstmann
(Weitere Vorstellungstermine: 1.12.2009, 10.3.2010)

Werkeinführung:

Das Dafne-Libretto von Martin Opitz läßt sich auf eine Handvoll verschiedene Weisen lesen und interpretieren. Das Gemisch aus klassischer Vorlage und deren Bearbeitungen, Opitz‘ Zutaten und den Erfordernissen des unmittelbaren Anlasses der Entstehung trägt komödiantische, tragische, parabelhafte Züge. Der Text schwankt zwischen witzigen, temporeichen Dialogen, ergreifenden Szenen und reichlich mühsamen Kommentaren und Bezügen zur fürstlichen Hochzeit; ein großer Teil davon ist als Opernlibretto ‚unbrauchbar‘ im heutigen respektive im konventionellen Sinn.

Was soll und kann ein Komponist des 21. Jahrhunderts damit anfangen? Zunächst ist es gerade diese (nicht allein zeitliche) Distanz, die Interesse weckt. Ein Text aus einer Epoche, da das Musiktheater in seinen Anfängen lag und (wenn auch in einem anderen Verständnis des Begriffes) wohl so experimentell war wie in den folgenden drei Jahrhunderten nicht wieder. Eine Sprache, zu deren Verständnis man bisweilen ein historisches Wörterbuch braucht, deren kraftvoller Klang und Reichtum an eigenwilligen Wendungen aber unmittelbar fasziniert. Eine Geschichte und Figuren, unter deren vermeintlicher Schlichtheit sich doppelte Böden auftun. Ein Chor, der allem Geschehen mit hölzernen Kommentaren einen höheren Sinn verpaßt.

Wenn man allerdings zu all dem noch das historische Umfeld hinzudenkt – die Situation im heutigen Deutschland in der ersten Dekade des Dreißigjährigen Krieges – kann man nicht umhin, die dunkle Seite an diesem seltsamen Götter- und Hirtenspiel, gedacht zur Zerstreuung und Erbauung einer feudalen Hochzeitsgesellschaft, zu betrachten.

Entsprechend schwankt mein Versuch einer Vertonung auf dem Grat zwischen ironisch geschärfter Nachzeichnung des komödienhaften Grundtones, wie er sich in den Dialogen findet, und dem Einbrechen des „Ernstfalles“ – sei es der der heftigen Liebe, die Apollo zu Dafne erfaßt und die ihn seiner Sinne beraubt (und Dafnes Leben kostet), oder der Angst vor dem ominösen „wilden Thier“, das Opitz meines Erachtens ohne Zweifel als Metapher für den allseits drohenden Krieg verwendet.

Die aus unterschiedlichsten Quellen gespeiste Vorlage verführt dazu, den Aspekt des Collagenhaften noch zu verstärken. Da Opitz sich in diesem Libretto – auch nach eigener Einschätzung – nicht durchweg auf der Höhe seines Könnens wiederfindet, habe ich mich entschlossen, den zentralen Passagen stärkere Texte aus seinem poetischen Werk quasi als „Doubles“ an die Seite zu stellen. So gibt es einen zweiten Echo-Chor als Gegenstück zur Hirtenszene, eine zweite Klage Apollos, einen zusätzlichen Nekrolog auf Dafne, der – anders als der gefühllose, massenfröhliche Chorkommentar zu ihrer „Metamorphose“ aus dem Libretto (O schöne Nymfe frewe dich) – von tief-schöner Traurigkeit erfüllt ist. Ovid selbst, von Opitz gleichsam zum Conferencier degradiert, bekommt einen zweiten Auftritt mit sehr viel kritischerem Text (aus den Trostgedichten in Widerwertigkeit des Krieges), und als literarisches „Kuckucksei“ gibt es auch ein Spottlied Cupidos auf alle verliebten Götter nach einem pseudo-barocken Gedicht von Arno Holz.

Diesem Verdopplungsprinzip ist auch die dramaturgische Gesamtstruktur verpflichtet – die ganze Geschichte wird gewissermaßen zweimal erzählt: zunächst recht nah am Original und in einem Tonfall, der nahelegt, dies alles – bis hin zu Dafnes Tod – könne doch immer noch Spiel sein; dann, nach einer instrumentalen „Verwandlungsmusik“, ein zweites Mal sehr viel zerrissener und des Auswegs in die Komödie beraubt. Angelpunkt dieses „Umschlagens“ ist die zentrale Szene zwischen Dafne und Apollo, die in beiden Hälften nahezu identisch vorkommt – einmal ist der Instrumentalpart mit den Streichern besetzt, einmal für die Bläser „arrangiert“ – und in der allein feine Unterschiede in den Gesangs- und Instrumentalstimmen die Grenze zwischen „überzeugend gespielt“ und „wirklich ernst“ markieren.

Der instrumentale Part ist durch ein hohes Maß an Eigenständigkeit geprägt. Neben zwei größeren rein instrumentalen Abschnitten gibt es mehrere prominente solistische Passagen (Schlagzeug, Theorbe, Kontrabaß, Saxophon), und zumal in den reduziert besetzten Nummern sind die „Persönlichkeiten“ der Instrumente den Bühnengestalten ebenbürtig. Die „Double“-Strukturen finden sich in zahlreichen Querbeziehungen, Zitaten und solchen Passagen wieder, die in umgestalteter Form an den unterschiedlichsten Stellen des Werkes wieder auftauchen. So basiert das Kontrabaß-Solo zu Beginn des zweiten Teils auf dem eröffnenden Schlagzeugpart, die „Ouvertüre“ bildet vorweg den gesamten Verlauf des Stückes ab, und die Gestik der „Verwandlungsmusik“ durchzieht auch die Chöre des zweiten Teils und wird schließlich zur dominierenden klanglichen Chiffre, die zugleich einen starken Kontrast zu den spritzig-aufgekratzten Texturen des Beginns bildet.